Warum eine Beziehung nicht immer ein Mittel gegen Einsamkeit ist

Maria Hutmacher
Maria Hutmacher

Am 02.11.2024 - 06:57

Eins mit dem Partner werden – klingt traumhaft, doch langfristig kann sich ein solches Ideal zum Alptraum entwickeln.

Nachdenkliches Paar
Auch in einer Beziehung kann man einsam sein. - Depositphotos

Das Streben nach einem Partner, der uns «vervollständigt», hat Folgen: Wer überhöhte Erwartungen hat, wird häufig enttäuscht.

Und doch ist in der Gesellschaft die Vorstellung weitverbreitet, dass es so zu sein hat.

«Du machst mich vollständig»: Die Gefahr hinter dem Satz

Viele kennen den berühmten Satz aus dem Film «Jerry Maguire»: «Du machst mich vollständig».

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Verschmelzen mit dem geliebten Menschen – ein Traum, der zum Alptraum werden kann. - Depositphotos

Ob man dies als Romantik oder Kitsch abtut, der Ausspruch hat Kultstatus erreicht. Und steht stellvertretend für eine weitverbreitete Einstellung in Beziehungen. Forscher haben nun untersucht, wie stark Menschen diesem Glauben anhängen. Und welche Auswirkungen das auf ihre Partnerschaften sowie ihr emotionales Wohlbefinden hat.

Das sagt die Forschung dazu

In einer Studie von Pearl Dykstra and Tineke Fokkema wurden über 2200 Erwachsene in den Niederlanden befragt. Die Teilnehmer waren entweder verheiratet, geschieden oder wiederverheiratet. Ihr Alter lag zwischen 30 und 76 Jahren.

Sie sollten angeben, wie sehr sie mit Aussagen übereinstimmen wie «Ohne einen Partner fühlt man sich unvollständig». Oder ob sie Sätze wie «Das Leben ist leer ohne einen Partner» unterschreiben würden.

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Emotionale Leere trotz Partnerschaft? Das geht. - Depositphotos

Die Forscher untersuchten dabei zwei Formen von Einsamkeit: soziale und emotionale Einsamkeit. Die soziale Einsamkeit hängt davon ab, ob man ein soziales Netzwerk hat, das einem Zugehörigkeit vermittelt.

Emotionaler Einsamkeit geht tiefer und äussert sich in Gefühlen von Leere oder Enttäuschung durch andere Menschen. Man kann also trotzdem ein soziales Netzwerk haben und sich dennoch emotional einsam fühlen.

Geschiedene im Strudel der Emotionen

Für Geschiedene erwies sich die «Du machst mich vollständig»-Einstellung als riskant. Je stärker sie glaubten, dass das Leben ohne romantischen Partner leer ist, desto einsamer fühlten sie sich emotional. Diese Überzeugungen hatten jedoch keine Auswirkungen auf ihre soziale Einsamkeit.

Auch bei Verheirateten war diese Denkweise weit verbreitet – sogar noch mehr als bei Geschiedenen. Aber auch hier zeigte sich: Diejenigen Eheleute, die am stärksten an den «Du-machst-mich-vollständig»-Mythos glauben, fühlten sich paradoxerweise oft einsamer auf emotionaler Ebene.

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Gerade für Menschen, die sich von ihrem Partner trennen, kann ein «Yin-und-Yang»-Glaubenssatz tückisch sein. - Depositphotos

Könnte es sein, dass solche Menschen zu sehr auf ihren Partner fixiert sind und dabei ihr restliches Umfeld vernachlässigen? Eine gefährliche Strategie. Allerdings widersprechen die Ergebnisse, die im Magazin «Basic and Applied Social Psychology» publiziert wurden bezüglich der sozialen Isolation dieser Theorie.

Einsam trotz Ehe: Ein Paradoxon wird entlarvt

Die Studie zeigt deutlich: Eine Ehe ist kein Allheilmittel gegen emotionale Einsamkeit.

Gerade diejenigen Verheirateten, die viel in ihre Ehe investieren, glauben, ohne Partner wäre das Leben leer. Und gerade diese Menschen leiden unter emotionaler Einsamkeit. Das mag ironisch klingen, spiegelt aber die Studienergebnisse wider.

Gerade Frauen werden oft als diejenigen dargestellt, denen Beziehungen besonders wichtig sind. Doch überraschenderweise waren es in dieser Studie eher Männer, die den «Du-machst-mich-vollständig»-Mythos vertraten.

Generell investieren Frauen mehr Zeit in ihr persönliches Umfeld und tauschen sich regelmässig mit Freundinnen über ihr Leben aus. Bei Männern ist dies oft weniger der Fall. Mit dem Resultat, dass sie nach einer Trennung ohne starken Freundeskreis dastehen.

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